Kuscheln und Sexualität

Wir Menschen haben im sozialen Sinne mindestens zwei wesentliche Bedürfnisse:

Das Eine ist das Bedürfnis nach Nähe, nach Berührung, nach Kuscheln, nach zusammen sein, nach Zusammengehörigkeit, nach vereint sein.

Das Andere ist, dass wir als Erwachsene sexuelle Wesen sind und sexuelle Bedürfnisse haben.

Das sind zwei essentielle Grundbedürfnisse, die gleichberechtigt sind und erfüllt werden möchten, damit wir uns rundum wohl fühlen.

Es ist nur so, dass die sexuellen Gefühle sehr deutlich wahrnehmbar sind. Jeder von uns spürt das ganz genau, wenn wir sexuell erregt sind. Das ist unmissverständlich. Und wenn wir sexuell entspannt sind, wenn die Erregung, wie auch immer, wieder abgeklungen ist, ist das auch ganz deutlich spürbar. 

Im Gegensatz dazu ist aber unser Bedürfnis nach Nähe, unser Kuschelbedürfnis, ganz fein, viel subtiler als die sexuelle Erregung. Auch die Befriedigung durch das Kuscheln ist viel feiner und subtiler und nicht so deutlich wahrnehmbar als sexuelle Erregung und sexuelle Befriedigung.

Deshalb konzentrieren wir uns beim Kuschelabend komplett auf das Thema Kuscheln, um diese Gefühle deutlicher und genauer wahrzunehmen. Deswegen berühren wir eben auch bestimmte Körperteile nicht. Aber eigentlich geht es nicht darum, bestimmte Körperteile nicht zu berühren, sondern es geht in diesem Kontext darum, sich nicht sexuell zu stimulieren. Es geht daru, dass wir eben in dieser Kuschelenergie bleiben, in die Kuschelenergie eintauchen, so dass wir diese einfacher wahrnehmen können.

So können wir uns selber in einen emotional ausgewogenen Zustand bringen, um dann frei zu sein für die höheren Aufgaben unserers Daseins…

Holger Carstens, Kuschel- und Beführungstrainer, München

Was ist Kuscheln?

Kuscheln ist das absichtslose körperliche Beisammensein von Menschen ohne sexuelle Intention. Das Erleben von körperlicher Nähe, Kontakt, Berührung und Aufgehobensein ohne Verpflichtung steht im Vordergrund; die menschliche Begegnung durch miteinander Liegen und zärtliches Berühren und Arm-in-Arm liegen.

Es kann vermutet werden, dass der Mensch ein sogenanntes „Kuschelgen“ aus Urzeiten mitbringt, weswegen er ohne Kuscheln, ohne Hautkontakt einfach nicht ruhig, glücklich und entspannt sein kann. Unsere Vorfahren, die  in Gruppen zusammenlebten, hatten zu Urzeiten, als es noch kein Feuer gab und nachts kalt war, keine andere Möglichkeit, als sich in Höhlen aneinander zu kuscheln und sich gegenseitig zu wärmen. Das Aneinanderkuscheln diente nicht nur dem Körperkontakt, sondern auch dem Überleben, dem sich sicher fühlen und sich aufgehoben fühlen in der Horde / Gruppe. Die heutigen Menschen unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht genetisch nicht so sehr von ihren urzeitlichen Vorfahren, weswegen für den Menschen bis heute Körperkontakt vom Baby bis zum Greis absolut elementar wichtig ist. Ein Baby, das ohne Körperkontakt aufwachsen muss, stirbt.

Die Kuschelenergie ist eine ruhige Energie. Es geht um die Energie der völligen Entspannung, der Homöostase, des Aufgehobenseins, die sich Menschen gegenseitig beim Kuscheln schenken können. Die Kuschelenergie ist das Gegenteil der Alltagsenergie, in der sich die meisten Menschen tagsüber befinden, in der Anspannung, Stress und Leistung im Vordergrund stehen, und es oft darum geht, genügen zu können.

Es geht bei den Kuschelabenden nicht um die aktive aufregende quirlige sexuelle Energie, die ein Ziel hat oder verfolgt. Wir bejahen auf jeden Fall die Sexualität und diese hat in einem anderen öffentlichen Rahmen ihren Platz – z.B. in Tantra-Workshops – aber hier im Rahmen der Kuschelabende wollen wir uns der ruhigen Energie des Kuschelns hingeben und diese fördern. Die KuschelleiterInnen haben auch die Aufgabe darauf zu achten und mitzuhelfen, dass die Kuschelnden in diese Energie kommen oder in dieser Energie bleiben können.

Das Kuscheln verfolgt kein Ziel. Es geht ums Sein, um Geborgensein und um das körperliche Aufgehobensein ohne Leistung, um das Geschehenlassen, was geschehen will und mit wem es geschehen will. Natürlich darf und muss die Kuschelnde / der Kuschelnde für ihr eigenes Wohlbefinden „ja“ und „nein“ und „vielleicht“ spüren und sich dementsprechend verhalten: Den eigenen Arm oder den eines Mitkuschlers anders platzieren oder auch im Kuschelhaufen – der „Höhepunkt“ der Kuschelabende mit Herz – einen anderen Kuschelplatz suchen.

Männer kuscheln mit Männern, Frauen mit Frauen und Frauen mit Männern. Es geht hier nicht darum, die KuschelpartnerIn zu finden für den Abend, sondern wenn zwei kuscheln, zu denen es Dich hinzieht, lasse Dich ziehen und kuschele einfach mit. Die Gruppe steht im Vordergrund. Aber auch das ist kein Muss. Natürlich darfst Du zu zweit kuscheln, so wie es sich für Dich stimmig anfühlt.
Und wenn Du einmal nicht mehr magst, spürst, dass Du eine Pause brauchst – ohne es Dir oder anderen erklären zu müssen – dann gibt es eine Auszeitmatte, auf die Du Dich zurückziehen kannst.

Ramani, Kuschel- und Berührungstrainerin, Basel